St. Otto, März 2025
„Mit dem Wind“...
… wäre ich bei meiner Suche nach dem Glas mit Zimt in unserem Gewürzregal auch nicht erfolgreicher gewesen. „Steht ganz vorne“, meinte meine Frau, die bereits am Frühstückstisch saß, und ich machte mich auf die Suche. Das sollte doch nicht so schwer sein. Zimt ist braun, ein Glas in der Regel durchsichtig und “ganz vorne“ klang jetzt auch nicht nach einer unlösbaren Aufgabe. Allein: Nach gefühlten Minuten ergebnislosen Scannens der grob geschätzt 167 Gewürze in Gläsern, Tiegeln und Töpfchen kapitulierte ich. Wie so oft.
„Ich find‘ das Glas nicht, Schatz!“ Dieser Offenbarungseid der Hilflosigkeit war leider unvermeidlich. Wieder einmal. Wie so oft. Und natürlich folgte der bekannter Seufzer meiner Angetrauten, verbunden mit der Aufforderung, doch meine Augen aufzumachen. Im nächsten Augenblick stand sie neben mir, griff nach einem kleinen Glas mit braunem Inhalt, das in der vordersten Reihe stand und meinte dann trocken „Da steht er doch! Gleich neben dem Curry!“, bevor sie sich wieder setzte und den Milchschaum ihre Kaffee-Latte mit ein paar Krümeln Ceylon-Zimt garnierte.
Ich denke, Sie alle kennen solche oder ähnliche Situationen. Nicht? Dann sind Sie bestimmt weiblich und ledig. Wir Männer zumindest sind alle schon in frühester Jugend durch eine harte Schule gegangen. Oder etwa nicht, meine Herren? Die Frage „Wo ist?“, die nach einer kurzen Phase eifrigen, aber erfolglosen Suchens durch die Aussage „Find ich nicht!“ komplettiert wird, gehört quasi zur männlichen DNA. Die weibliche Antwort auf diesen Offenbarungseid der Inkompetenz? Ein tiefer Seufzer, ergänzt durch den freundlichen oder wahlweise auch genervten Hinweis auf unsere offensichtlich schwach ausgeprägten visuellen Fähigkeiten. Gern auch mal erweitert um eine deutliche Kritik à la „Du gibst dir einfach keine Mühe!“.
Aber woran liegt das eigentlich, dass ich minutenlang erfolglos nach etwas suche, dessen Ablageort mir genauestens beschrieben wurde? Nicht zugehört? Blind? Oder doch einfach zu wenig Mühe gegeben? Meine Frau würde alle drei Erklärungen sofort unterschreiben und durch ein kopfschüttelndes „Typisch Mann!“ ergänzen. Ich allerdings vermute einen ganz anderen Hintergrund, der – wie so oft – in der Evolution zu suchen ist. Wir Männer waren ja früher ständig auf der Jagd. Mammuts, Säbelzahntiger, Wale und so. In jedem Fall riesige Viecher. Die konnte man gar nicht übersehen. Die Frauen haben stattdessen klitzekleine Beeren gesammelt, Kräuter und Pilze gesucht oder nach mickrigen Wurzeln gegraben. Aus diesem Grund, so meine Theorie, müssen die Dinge für uns Männer einfach nur etwas größer sein, damit wir sie sehen. Ein Bierfass zum Beispiel hat eine ganz andere Dimension, als so ein mickriges Glas mit Zimt. Aber nach dem fragt uns ja niemand …
Vielleicht hat das Problem aber auch einen medizinisch-neurologischen Hintergrund. Unser Ohr hört, der Kopf nickt, aber unser Auge sucht nach etwas ganz anderem, weil das Gehirn gerade mit wichtigeren Arbeiten als dem Aufbau einer Ohr-Auge-Verbindung beschäftigt ist. Unsere, für die Weiterleitung des Impulses dringend benötigten Nervenbahnen sind belegt, überlastet oder gar blockiert. Dazu der Stress. Die Angst, den Auftrag nicht korrekt auszuführen. Mal wieder zu versagen. Ein wahrer Teufelskreis!
Manchmal verhält sich das im Austausch mit Gott übrigens ganz ähnlich. Der formuliert doch auch gern mal den ein oder anderen Auftrag. Allgemeine Lebensführung, Verhalten gegenüber Mitmenschen, Leben in der Gemeinschaft und so. Sie erinnern sich dunkel? Und obwohl wir ihm ganz genau zuhören und er sein Anliegen mehrfach wiederholt, ja sogar mit anschaulichen Gleichnissen zur besseren Verständlichkeit garniert, misslingt uns die Umsetzung.
Nun ist Gott sehr, sehr geduldig. Er weiß, dass wir Menschen manchmal etwas mehr Zeit benötigen, um zu begreifen, was er da in seinem göttlichen Willen von uns verlangt. Aus diesem Grund gibt es übrigens auch die Fastenzeit. Sieben Wochen sollten doch ausreichen, damit auch der Letzte von uns begreift, was Gott von ihm will. Oder was meinen Sie?
Sieben Wochen! Die sind meiner Frau, die im Umgang mit meiner Inkompetenz beim Thema “Suchen und Finden“ regelmäßig eine fast göttliche Geduld an den Tag legt, wahrscheinlich dann doch etwas zu lang. Ihr Kaffee-Latte wäre auch längst eiskalt. Ich muss also üben. Und was bietet sich da mehr an, als die alljährliche Suche nach Nestern und Ostereiern? Aber bis dahin erfreue ich mich an meinem – zugegeben überschaubaren – Wissenszuwachs: Das Glas mit Zimt steht gleich neben dem Kümmel. Oder war es doch der Thymian … ?
Herzlichst
Ihr
Markus Constantin
Rektor
St. Otto, Februar 2025
„Mit dem Wind“...
… die Wahl gehabt und eine Entscheidung getroffen. Und diesmal ging es nicht um so alltägliche Fragen wie Kaffee oder Tee, Fahrrad oder Auto, grüne, braune oder doch lieber schwarze Socken? Es ging um eine wirklich wichtige Entscheidung. Wichtig? Was sag ich: Lebenswichtig!
Wie immer Ende Januar, sind die Insulaner fast unter sich. Nur an besonders schönen Tagen verirrt sich der ein oder andere Tagesgast an den Strand. Viele Restaurants und Hotels machen Betriebsferien und aus diesem Grund ist auch der „Betrieb“ auf den Straßen, Wegen und sogar am Strand sehr übersichtlich. Freiheit! – denkt sich da dann auch der ein oder andere Hundebesitzer und lässt seinen Vierbeiner an der richtig langen oder gleich ganz ohne Leine laufen. Im Prinzip ist das auch gar nicht verwerflich, und ich gönne den Kläffern das bisschen Freiheit von Herzen.
Letzte Woche allerdings – ich bin an einem wirklich herrlichen Sonntagnachmittag mit meinem Rennrad auf dem Neeberger Weg unterwegs gewesen –, war es schlagartig vorbei mit meiner Großzügigkeit. Nach einer Wegbiegung sah ich nur 50 Meter vor mir einen mir gut bekannten 80Kg-Vertreter der Spezies Canis lupus familiaris wie einen liegengebliebenen LKW in der Mitte des Weges thronen. Der Riesenköter lag bei unseren bisherigen Begegnungen meist regungslos hinter seinem Gartentor und glotzte desinteressiert hinter mir her, wenn ich auf meinem Rad vorbeihuschte. Auch in Freiheit schien der Koloss nicht vor Bewegungsdrang zu bersten. Trotzdem: Er stand nun mal mitten auf und damit eben auch im Weg. Die hektischen Bemühungen seiner Besitzerin, die voll ausgefahrene Schleppleine einzuholen, erinnerten in ihrer Vergeblichkeit an einen Angler, an dessen Leine ein Pottwal hängt. Zudem hatte „Wotan“ offenbar seine Hörgeräte ausgeschaltet oder zu Hause vergessen. Alles Rufen und Zerren half nichts. „Festgemauert in der Erden stand der Hund und starrt gebannt“, um mal einen unserer großen Dichter zu zitieren.
Ich bremste ab, rollte im Schneckentempo weiter und checkte dabei meine möglichen Handlungsoptionen:
- Absteigen und das Hindernis in einem weiten Bogen über das verschlammte Feld umlaufen.
- Zügig an der Statue vorbeifahren. Schließlich reichte der Platz problemlos aus, der Hund hatte hinter seinem Gartentor bisher keinen übertriebenen Aktivismus an den Tag gelegt und schließlich ist die Variante „Augen zu und durch“ eine altbewährte und oft erfolgreiche angewandte Methode im Umgang mit Gefahrensituationen.
- Absteigen und Brüllen. In der Hoffnung, dass die Besitzerin mein Problem, das ja eigentlich ihres war löst und der Hund das nicht als Aufforderung betrachtet, mir das Maul zu stopfen.
- Langsam an Hund und Frauchen vorbeirollen, in der Hoffnung, dass der Köter mich einfach nicht sieht.
- Umdrehen und meine Fahrt auf einer anderen Route fortsetzen.
Ich hatte die Wahl und musste eine Entscheidung treffen. Hier und jetzt. Wie beim Roulette. Wobei es sich in diesem Fall wohl um eine Unterart der russischen Variante handelte.
Entscheidungen treffen wir tagtäglich dutzende (siehe oben). Zumeist handelt es sich dabei aber gar nicht um „richtige“ Entscheidungen. Wir haben zwar die Wahl, aber unsere Routinen, Erfahrungen, Vorlieben oder auch äußere Zwänge geben uns die Entscheidung vor, nehmen sie uns ab. Das ist auch gut so. Denn wenn beispielsweise statt des routinierten Befüllens der Kaffeemaschine am Morgen zunächst ein langer Entscheidungsprozess (Kaffee, Tee – und dann welche Sorte -, Orangensaft, Wasser, Milch, …) durchlaufen werden müsste: Wir würden nie pünktlich bei der Arbeit erscheinen.
Leider hält unser Alltag aber, allen Routinen zum Trotz, noch ausreichend Entscheidungszwänge bereit, die sich eben nicht nach „Schema-F“ oder „machen wir wie immer“ abarbeiten lassen. Solche Fälle müssen dann ausführlich bedacht, abgewogen, analysiert oder besprochen werden. Abhängig von der Tragweite und Bedeutung der zu treffenden Entscheidung empfiehlt es sich sogar, Fachexpertisen einzuholen oder Entscheidungsgremien einzuberufen.
In vielen Fällen machen wir uns Entscheidungen wirklich nicht leicht. In manchen aber auch einfach viel zu schwer. Oft können wir gar nicht alles bedenken. Wir quälen und blockieren uns mit vermeintlichen Lösungsstrategien, um alle vermeintlichen Risiken auszuschließen, nur um schlussendlich festzustellen, dass wir trotzdem die falsche Entscheidung getroffen oder – noch viel schlimmer – weil die Angst, einen Fehler zu machen unser Handeln gelähmt hat, gar nichts entschieden haben.
Vielleicht sollten wir viel häufiger auf unser Bauchgefühl hören. Das entsteht übrigens nicht im Magen, dem Darm oder der Leber, sondern ist die unterbewusste Fülle all unserer Erfahrungen. Eigentlich eine gute Basis für Entscheidungen, die wir viel häufiger nutzen sollten.
Mein Bauchgefühl hat sich im Übrigen für die vierte Möglichkeit entschieden. Langsam rollte ich auf das Monument aus Muskeln, Fett und Haaren zu. Schon war ich fast vorbei und gratulierte mir zu meinem Mut, als der Koloss seinen massigen Körper mit einem abgrundtiefen WUFF entschlossen gegen mein Hinterrad warf. Nicht wütend oder aggressiv, sondern eher angenervt. Wie eine Kuh, die lästige Fliegen mit ihrem Schwanz vertreibt.
Mein Rad ruckelte kurz und wider Erwarten blieb ich im Sattel. Dabei reicht doch manchmal schon ein kleines Steinchen auf dem Weg, um mich und meinen fahrbaren 8Kg-Untersatz aus Carbon ins Straucheln zu bringen.
Ein Wunder? Glück gehabt? Oder war da die schützende Hand meines Schutzengels im Spiel, der meinen Mut, mein Gottvertrauen oder auch einfach nur mein Bauchgefühl unterstützen wollte? Bestimmt war es so. Ganz sicher sogar! Dafür bin ich ihm dankbar. Und dem, der ihn geschickt hat sowieso.
Hören Sie öfter auf ihr Bauchgewühl, wenn Sie Entscheidungen treffen müssen oder die Wahl haben. Und kalkulieren Sie ruhig die Hilfe Ihres Schutzengels mit ein. Wenn Sie bei ihren Entscheidungen versuchen, das Wohl Ihres Nächsten zu berücksichtigen, menschlich zu handeln, großzügig, sozial und gerecht, dann können Sie auf seine Unterstützung zählen.
Herzlichst
Ihr
Markus Constantin
Rektor
St. Otto, Januar 2025
Mit dem Wind ...
... zurückgeschaut. Das macht man am Ende des alten und nicht zu Beginn des neuen Jahres, meinen Sie? Also auf dem Rad sollte der prüfende Blick auf die rückwärtige Beleuchtung während der dunklen Jahreszeit ein ständiger Wegbegleiter sein. Ganz egal, ob Dezember oder Januar. Schließlich kann so ein batteriebetriebenes Rücklicht ganz schnell mal ausfallen. Und dann? Dann unterscheidet sich der radelnde Verkehrsteilnehmer nur unwesentlich von einem Rehlein, Fuchs, Elch oder Hoppelhasen. Und was diesen unbeleuchteten Verkehrsteilnehmern gerne mal zustößt, das wissen wir alle nur zu gut. Also nie den Kontrollblick auf die Heckbeleuchtung schleifen lassen!
Jetzt ist es natürlich wenig hilfreich, vor lauter Rückblicken, die Straße vor dem Rad komplett zu vernachlässigen. Zwar bemerkt man den Ausfall der Frontlampe sofort, aber es gibt da durchaus noch den ein oder anderen nicht ganz unwesentlichen Grund, warum es durchaus sinnvoll ist, ab und zu mal nach vorne zu blicken. Ich sage nur: Schlagloch, Rehlein, Fuchs, Elch oder – na, Sie wissen schon.
Vor dem Rad lauert das Unbekannte. Aber mit einem hellen Scheinwerfer, gut eingestellten Bremsen und einer jahreszeitlich angepassten Geschwindigkeit halten sich mögliche Überraschungen in Grenzen. Zumindest besteht eine gute Chance, rechtzeitig reagieren zu können und damit mögliche Gefahrenmomente in den allermeisten Fällen zu entschärfen.
Das sieht in unserem Leben ein wenig anders aus. Was vor uns liegt wissen wir nicht. Einen Scheinwerfer, der unsere Zukunft hell ausleuchtet, hat bisher noch niemand erfunden. Menschen, die meinen zu wissen, was auf uns zukommt gibt es trotzdem wie Sand am Meer. Und die Zahl derjenigen, die Horrorszenarien, Katastrophen oder gar den direkt bevorstehenden Weltuntergang prophezeien, wächst gefühlt tagtäglich an. Allein: Wir können planen, vermuten, hoffen – aber in die Zukunft schauen, das gelingt uns heute so wenig wie unseren Vorfahren vor zweitausend, hunderttausend oder auch zwei Millionen Jahren.
Wir wissen, was hinter uns liegt. In der Vergangenheit. Und wir kennen das Hier und Jetzt. Aber schon die nächste Millisekunde der Zukunft kann unser Leben, all unser Planen und Vorausberechnen ad absurdum führen.
Jetzt kann man lamentieren, die menschliche Tragödie im Allgemeinen und das persönliche Schicksal im Besonderen beklagen. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, die Zukunft der Menschheit auf Grundlage empirischer Erhebungen, riesiger Datenmengen und computergenerierter Modellprojektionen mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8% zu berechnen. Als unwissenschaftliche Alternative empfiehlt sich dagegen ein Blick ins Horoskop, die Kristallkugel oder gleich der Gang zur Wahrsagerin. Oder aber man greift ungeniert zum beliebtesten Dogma aller selbsternannten Propheten und posaunt ein lautstarkes “Das wird kommen!“ in die reale oder virtuelle Welt hinaus.
Eine ganze Fülle von Ratschlägen und Möglichkeiten. Und trotzdem kommen wir der Zukunft und dem, was sie uns bringen wird, mit diesen Methoden kein bisschen näher.
Vielleicht schieben wir in diesem Jahr unsere allzu menschlichen Ängste, Sorgen und Befürchtungen ab und zu ein Stückchen zur Seite und probieren es stattdessen zur Abwechslung mal mit einer ordentlichen Portion Zuversicht und Gottvertrauen. Im Wissen darum, dass schlussendlich alles gut wird, sollte uns das gelingen! Meinen Sie nicht auch?
Herzlichst
Ihr
Markus Constantin
Rektor